Allerseelen in Litauen

Die Zeit des Nebels ist da und bringt nicht nur taufrische Morgenmelancholie, sondern auch Poesie und Inspiration mit sich. Die Abende werden länger, die Bäume verlieren langsam ihr farbenprächtiges Laub. Die sich verändernde Natur gibt mehr Zeit zum Nachdenken und Erinnern – nicht nur an die vergangenen Tage, sondern auch an die geliebten Menschen, die früher da waren.

Hier in Litauen haben wir eine alte Tradition, zu dieser Jahreszeit den Menschen unseren Respekt zu erweisen, die nicht mehr unter uns sind ...

Der traditionelle Feiertag, auch Allerseelen, Allerheiligen oder Gedenktag genannt, fällt auf den 1. und 2. November. Er geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und ist tief in der litauischen Kultur verwurzelt.

Historische Aufzeichnungen belegen, dass im November früher die gesamte Feldarbeit erledigt und die Ernte eingebracht wurde. Die Menschen hatten dann endlich die Möglichkeit, ihren Alltag zu entspannen und die Friedhöfe zu besuchen und sich um die Gräber zu kümmern.

Heutzutage besuchen die Menschen zu diesem Anlass nicht nur den Friedhof. Es werden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet, was bei Sonnenuntergang einen spektakulären Anblick bietet. Die Atmosphäre wird mystisch, wenn die kleinen Kerzenlichter überall flackern und die Dunkelheit des bevorstehenden Winters durchbrechen.

Das Licht soll die Seelen der Menschen zurückbringen, die einst auf der Erde wandelten. Deshalb bringt jeder mindestens eine Kerze mit. Und manchmal tragen die Menschen sogar ein paar mit sich, um sie an der vergessenen Ruhestätte eines Menschen anzuzünden.

Doch es gibt eine noch ältere, fast übernatürliche Tradition, die Jahrhunderte zurückreicht. Nach dem Friedhofsbesuch versammelte sich die ganze Familie zu einem aufwendigen Abendessen, selbst die entferntesten Verwandten kamen zusammen. Man tauschte Erinnerungen an seine Lieben aus. Nach dem Essen stellte man reichlich Essen auf den Tisch und zündete eine Kerze auf dem Fensterbrett an, um die Verstorbenen zu ehren. Man glaubte, dass das Licht im Fenster den Geistern nicht nur den Weg nach Hause verdeutlichte, sondern ihnen auch bei ihrer kurzen Rückkehr zur Erde Nahrung gab.

Auch wenn dieses Fest düster und düster erscheinen mag, liegt am 1. November etwas Poetisches in der Luft. Vielleicht ist es der Duft der Blätter auf dem Boden oder das Heulen des Nordwindes …

Doch das Meer aus brennenden Kerzen rund um die Stätte der ewigen Ruhe bringt Hoffnung.

Das warme Licht kann eine Quelle der Inspiration sein und uns helfen, diese manchmal unheimliche Jahreszeit zu überstehen. Und wenn wir diesen mystischen Feiertag begehen, können wir nicht anders, als dankbar für die Zeit zu sein, die uns geschenkt wurde.

Wir wünschen euch allen einen schönen und ruhigen Allerheiligentag! Lasst uns alle geliebten Menschen, die noch da sind, in den Arm nehmen und in Ehren halten und derer, die nicht mehr da sind, in herzlicher Erinnerung bleiben!